Die Baureihe 650 bezeichnet in Deutschland eine Familie moderner Dieseltriebwagen für den Regionalverkehr, bekannt als Stadler Regio-Shuttle RS1. Diese einteiligen Triebwagen mit ihrer markanten trapezförmigen Fensterfront gehören seit den späten 1990er-Jahren zum vertrauten Bild auf vielen Nebenstrecken. Entwickelt in der zweiten Hälfte der 1990er von ADtranz und später von Stadler Rail übernommen, hat sich die Baureihe 650 schnell als zuverlässiger „Nebenbahnretter“ der Neuzeit etabliert.
Mit ihrer Kombination aus wirtschaftlichem Betrieb, niedrigem Einstieg und solider Leistung leistete sie einen wesentlichen Beitrag dazu, den Schienenpersonennahverkehr auf weniger frequentierten Strecken attraktiv und zeitgemäß zu gestalten. Im Folgenden werden die verschiedenen Modelle und technischen Merkmale der Baureihe 650, ihre historischen Vorgänger, moderne Alternativen sowie die Entwicklung der Dieseltriebwagen im deutschen Regionalverkehr im Kontext dieser Baureihe ausführlich beleuchtet.
Modelle und technische Merkmale der Baureihe 650
Unter der Bezeichnung Baureihe 650 werden in Deutschland die Regio-Shuttle RS1-Triebwagen von Stadler geführt. Es handelt sich um normalspurige, einteilige Dieseltriebwagen, die nach UIC-Normen konstruiert sind und Längsdruckkräfte bis 1500 kN aufnehmen können. Charakteristisch sind die trapezförmigen Fensterbänder entlang des Wagenkastens – ein direktes Resultat der innovativen Fachwerk-Bauweise des Wagenkastens, die ein geringes Gewicht und hohe Stabilität ermöglicht. Die Fahrzeuge sind überwiegend niederflurig: Etwa 65 % des Fahrgastraums – insbesondere der Bereich mit den Türen – ist mit einer Fußbodenhöhe von 600 mm oder 760 mm über Schienenoberkante ausgeführt, passend zu den üblichen Bahnsteighöhen von 550 mm bzw. 760 mm. Über den beiden Triebdrehgestellen steigt der Wagenboden auf etwa 1000 mm an, was in diesem Bereich einen hochflurigen Teil ergibt.
Diese Bauart gewährleistet trotz der kompakten Abmessungen einen barrierefreien Einstieg für Fahrgäste und ausreichend Platz für Kinderwagen, Fahrräder und Rollstühle im Mehrzweckbereich.
Ein Regio-Shuttle RS1 misst über Puffer rund 25,5 m in der Länge und etwa 2,9 m in der Breite. Das Leergewicht beträgt ungefähr 40 Tonnen. Angetrieben wird die Baureihe 650 von zwei unterflur angeordneten Dieselmotoren – je einem an jedem Fahrzeugende – die über hydromechanische Getriebe auf alle vier Achsen wirken (Achsfolge B’B’). Je nach Baujahr kommen unterschiedliche Motorvarianten zum Einsatz: Die frühen Serienfahrzeuge wurden mit MAN-Dieselmotoren ausgestattet (Typ D2866 mit rund 257 kW Leistung je Motor), während spätere Bauserien ab etwa 2010 auf Iveco-Motoren (Cursor 8 mit ca. 265 kW) wechselten. Unabhängig vom Hersteller leisten beide Motorenvarianten knapp über 500 kW Gesamtleistung, was dem leichten Fahrzeug zu einer beachtlichen Beschleunigung verhilft. Tatsächlich erreicht der Regio-Shuttle fahrdynamische Werte, die streckenweise mit denen elektrischer Triebwagen mithalten können. Die Höchstgeschwindigkeit war anfänglich auf 120 km/h ausgelegt; dank Verbesserungen an Antrieben und Getrieben sind jedoch neuere Fahrzeuge oder nachgerüstete Einheiten ab Mitte der 2000er-Jahre für bis zu 140 km/h zugelassen – ein beachtlicher Wert für einen einteiligen Dieseltriebwagen.
Die Regio-Shuttle verfügen über zeitgemäße Sicherheitstechnik wie Sifa (Totmanneinrichtung) und PZB 90 (punktförmige Zugbeeinflussung) und sind für den Einmannbetrieb ausgelegt. Das bedeutet, dass sie im Regelbetrieb lediglich mit einem Triebfahrzeugführer ohne Zugbegleiter gefahren werden können, was den wirtschaftlichen Einsatz auf schwach besetzten Strecken erleichtert. Ein einzelner Triebwagen bietet – je nach Bestuhlung und Ausstattung – zwischen etwa 70 und 100 Sitzplätze. In einer Standardkonfiguration der Deutschen Bahn sind es rund 71 Sitzplätze plus Stehplätze, sodass maximal etwa 150 bis 170 Fahrgäste pro Fahrzeug befördert werden können. Für längere Strecken oder höhere Nachfrage verfügen viele Einheiten über eine Toilette an Bord; jedoch wurden auch Varianten ohne WC gebaut, um stattdessen mehr Raum für Fahrräder oder Kinderwagen zu schaffen. Beispielsweise verzichtete die DB bei einigen als „Radwander-Express“ eingesetzten Fahrzeugen (Nummernbereich 650 201–203 und 301–321) auf die Toilettenausstattung, um größere Mehrzweckbereiche für Ausflügler zu ermöglichen.
Ein herausragendes Merkmal der Baureihe 650 ist ihre hohe Kupplungsflexibilität. Die Fahrzeuge wurden sowohl mit herkömmlicher Schraubenkupplung und Puffer als auch optional mit modernen Mittelpufferkupplungen (Scharfenberg- oder BSI-Kupplung) ausgeliefert. Dadurch lassen sie sich problemlos in Mehrfachtraktion einsetzen – bis zu sechs RS1-Triebwagen können technisch gekuppelt und gemeinsam von einem Führerstand aus gesteuert werden. In der Praxis werden auf stärker nachgefragten Linien häufig Zwei- oder Dreifachtraktionen gebildet, da ein Einzeltriebwagen kapazitätsmäßig begrenzt ist. Die robusten Maschinenanlagen und der Allradantrieb (alle Achsen angetrieben) verleihen der Baureihe 650 zudem genügend Leistung und Traktion, um selbst anspruchsvolle Steilstrecken zu bewältigen. So wird der Regio-Shuttle beispielsweise auf der Hunsrückbahn zwischen Boppard und Emmelshausen eingesetzt – einer Strecke mit Steigungen bis zu 6 % – wo eigens Magnet- und Federspeicherbremsen nachgerüstet wurden, um den besonderen Anforderungen dieser Gefällestrecke gerecht zu werden.
Einsatzgebiete: Die Baureihe 650 hat seit ihrer Indienststellung 1996 eine weite Verbreitung im deutschen Regionalverkehr gefunden. Insgesamt wurden bis zum Produktionsende im Jahr 2013 knapp 500 Fahrzeuge dieses Typs gebaut, von denen der Großteil in Deutschland im Einsatz ist. Die Deutsche Bahn selbst beschaffte 74 Regio-Shuttle für ihre Regionalnetze, vor allem in Baden-Württemberg und Bayern. Stationiert sind die DB-Triebwagen unter anderem in Tübingen und Ulm (für den Einsatz auf der Schwäbischen Alb und in Oberschwaben) sowie in den oberbayerischen Standorten Traunstein und Traunreut. Darüber hinaus haben zahlreiche nichtbundeseigene Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) den RS1 in ihren Fahrzeugpark aufgenommen. Zu den größten Flotten zählen die Erfurter Bahn (mit Tochterunternehmen Süd-Thüringen-Bahn) mit über 60 Einheiten, die SWEG/Hohenzollerische Landesbahn in Baden-Württemberg mit rund 50 Fahrzeugen sowie die Vogtlandbahn (Die Länderbahn) in Sachsen/Bayern. Auch Unternehmen wie die Ostdeutsche Eisenbahn (ODEG), agilis in Bayern, die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) in Brandenburg, die Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) und weitere setzen die Baureihe 650 auf ihren Strecken ein. Die Einsatzstrecken sind meist Nebenbahnen und regionale Verbindungen mit geringerer Fahrgastdichte, wo der Regio-Shuttle seine Stärken – niedrige Betriebskosten, hohe Beschleunigung und gute Anpassung an einfache Infrastruktur – voll ausspielen kann. Vereinzelt fand der RS1 auch außerhalb Deutschlands Verwendung: So beschafften die Tschechischen Staatsbahnen ČD 33 Stück dieses Typs (dort als Baureihe 840/841 bezeichnet) für den Einsatz in Regionen wie Böhmen und dem Erzgebirge.
Historische Vorgänger im Regionalverkehr
Die Erfolgsgeschichte der Baureihe 650 baut auf einer langen Tradition von Dieseltriebwagen im deutschen Regionalverkehr auf. Bereits in den 1950er-Jahren setzte die Deutsche Bundesbahn leichte Schienenbusse ein, um kostengünstig auf Nebenstrecken verkehren zu können. Diese als Uerdinger Schienenbus bekannten Zweiachser (DB-Baureihen VT 95 und VT 98, später als 795 und 798 bezeichnet) galten in Westdeutschland als „Retter der Nebenbahnen“. Ihre einfache Konstruktion – ein leichter Wagenkasten in Autobus-Bauweise mit unterflur eingebauten Lkw-Dieselmotoren – und der geringe Personalaufwand ermöglichten den Weiterbetrieb vieler Lokalstrecken, die mit herkömmlichen Dampf- oder Dieselzügen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben gewesen wären. Zwischen 1950 und 1971 wurden in Westdeutschland und für den Export fast 1.500 Schienenbus-Triebwagen gefertigt, zuzüglich weiterer Beiwagen und Steuerwagen. Sie prägten über Jahrzehnte das Bild ländlicher Bahnlinien: Ob im flachen Norddeutschland oder in den Mittelgebirgsregionen – der rote Schienenbus war vielerorts Synonym für Personenzüge auf dem Lande. In der DDR entwickelte man zeitgleich eine sehr ähnliche Fahrzeugfamilie, bekannt als Ferkeltaxe (offiziell Baureihe VT 2.09, später bei der DB AG als 771/772 geführt). Diese kleinen dieselmechanischen Triebwagen erfüllten im Osten den gleichen Zweck: Grundversorgung auf dem flachen Land mit minimalem Aufwand.
Mit dem Strukturwandel im Verkehr und dem zunehmenden Individualverkehr gerieten die Nebenbahnen ab den 1960er-Jahren dennoch unter Druck, was zur Stilllegung zahlreicher Strecken führte. Die verbliebenen Regionalstrecken sollten effizienter bedient werden, wofür ab Anfang der 1970er neue Dieseltriebwagen-Generationen entwickelt wurden. Als direkter Nachfolger des Schienenbusses präsentierte die Bundesbahn zunächst die einteilige Baureihe 627 (Baujahre ab 1974) und kurz darauf die zweiteilige Baureihe 628. Während der nur einteilige 627 eher in kleiner Stückzahl erprobt wurde, bewährte sich der zweiteilige 628 mit seiner größeren Kapazität deutlich besser. Ab Mitte der 1980er-Jahre ging die Baureihe 628 in Serienproduktion und wurde zum neuen Rückgrat des nichtelektrifizierten Regionalverkehrs. Insgesamt fast 300 Exemplare der letzten Ausführung 628.4 wurden bis 1995 beschafft. Diese Dieseltriebwagen waren bereits deutlich komfortabler und leistungsfähiger als die alten Schienenbusse: Sie boten eine höhere Sitzplatzanzahl in zwei Wagenhälften, liefen ruhiger und verfügten über eine verbesserte Antriebsleistung von rund 2× 410 kW. Die 628er kamen bundesweit zum Einsatz und lösten sukzessive die altgewordenen Schienenbusse ab – etwa auf Eifel- und Hunsrückquerbahn, in den bayerischen Waldgebieten oder auf Strecken in Schleswig-Holstein. Auch in den neuen Bundesländern waren nach 1990 zunächst vielfach gebrauchte 628 oder modernisierte „Ferkeltaxen“ im Einsatz, um den Bedarf zu decken.
Parallel dazu beschaffte die Bundesbahn in den späten 1970er-Jahren auch einige Sonderbauarten, die regional begrenzte Bedeutung hatten. Beispielsweise kamen in Nordbayern und Franken ab 1971 die dreiteiligen Dieseltriebzüge der Baureihe 614 zum Einsatz, die mit neigefähigen Wagenkästen den kurvenreichen Strecken im Mittelgebirge gerecht wurden. Diese blieben jedoch Ausnahmeerscheinungen. Flächendeckend war die Modernisierung erst mit der Serie 628 spürbar, die nach und nach die älteren Schienenbusse ablöste und bis in die 1990er-Jahre hinein in großer Zahl eingeführt wurde. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach 1990 zunächst vielfach modernisierte „Ferkeltaxen“ (Baureihe 771/772) oder gebrauchte westdeutsche Triebwagen eingesetzt, ehe neue Fahrzeuge verfügbar waren.
Nachfolger und moderne Alternativen zur Baureihe 650
In den späten 1990er-Jahren leitete die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs in Deutschland eine neue Investitionswelle in Fahrzeuge ein. Die Baureihe 650 (Regio-Shuttle RS1) war dabei eines der ersten erfolgreich umgesetzten Konzepte einer neuen Generation von Dieseltriebwagen. Zeitgleich entstanden jedoch auch konkurrierende Modelle verschiedener Hersteller, die als moderne Alternativen gelten können und in direkter Konkurrenz oder Ergänzung zur Baureihe 650 standen.
Eines dieser Fahrzeuge ist der Bombardier Talent (1. Generation), welcher ab 1996 entwickelt wurde. Dieses modulare Konzept ermöglichte zwei- oder dreiteilige Dieseltriebzüge mit Gelenkübergängen und niederflurigen Einstiegen. Die Deutsche Bahn beschaffte ab 1999 mehrere Talent-Triebwagen, die als Baureihen 643 (zweiteilig) und 644 (dreiteilig) vor allem in Nordrhein-Westfalen und der Eifel zum Einsatz kamen. Insgesamt wurden vom Talent (Diesel- und Elektroversionen zusammen) bis 2008 über 700 Einheiten produziert. Ähnlich erfolgreich war das Siemens Desiro Classic (DB-Baureihe 642), das ab 1999 in Dienst gestellt wurde. Dieser zweiteilige Dieseltriebwagen mit markanter runder Front wurde etwa in Sachsen (Vogtland, Erzgebirge) und Rheinland-Pfalz eingesetzt. Mit einer Leistung von 2× 275 kW und bis zu 120 km/h Höchstgeschwindigkeit war der Desiro ebenfalls für regionale Aufgaben gut geeignet; seine Stückzahl bei der DB belief sich auf rund 60 Fahrzeuge, weitere wurden an Privatbahnen und ins Ausland geliefert.
Besonders hervorzuheben ist der Alstom Coradia LINT, der ab 2000 eingeführt wurde und sich in den folgenden zwei Jahrzehnten zum meistgebauten Dieseltriebwagen in Deutschland entwickelte. Der LINT („Leichter Innovativer Nahverkehrstriebwagen“) wird in verschiedenen Längen angeboten – vom einteiligen LINT 27 über den zweiteiligen LINT 41 bis zu längeren Varianten wie LINT 54/81. Diese Fahrzeuge kombinieren ebenfalls Niederflureinstiege mit leistungsstarken Dieselantrieben und erreichten ab Werk Geschwindigkeiten bis 140 km/h. Mit über 1.000 gebauten Exemplaren (Stand Ende 2023) ist der Coradia LINT in mehr als 30 verschiedenen Netzen in Europa und sogar in Kanada im Einsatz. Viele deutsche Landesbahnen wie die Hessische Landesbahn (HLB), erixx in Niedersachsen oder die AVG in Baden-Württemberg setzen auf LINT-Triebwagen. Selbst die DB Regio ergänzte ihre Flotte um LINT-Fahrzeuge (Baureihen 640 und 648), die mittlerweile auf zahlreichen Strecken die älteren 628er abgelöst haben.
Für die Baureihe 650 selbst wurde lange Zeit kein direkter Nachfolger im eigenen Hause entwickelt, da Stadler Rail mit dem Regio-Shuttle ein bewährtes Produkt im Portfolio hatte. Erst 2024, gut 28 Jahre nach Vorstellung des RS1, präsentierte Stadler mit dem RS ZERO einen Nachfolger im Geiste des Regio-Shuttle. Dieses Neufahrzeug greift die Konstruktionsprinzipien des RS1 (robuster Wagenkasten, hoher Niederfluranteil, modularer Ein- oder Zweiteiler) auf, ersetzt den Dieselantrieb jedoch durch vollständig emissionsfreie Technologien. Der RS ZERO wird wahlweise als Akku-Triebwagen (BEMU – Battery Electric Multiple Unit) oder als Verbrennungstriebwagen mit Wasserstoffmotor (HEMU – Hydrogen Engine Multiple Unit) angeboten. Damit reagiert Stadler auf den aktuellen Technologiewandel: Dieseltriebwagen sollen in Zukunft durch klimafreundlichere Antriebe ersetzt werden. Der RS ZERO bietet als einteilige Version etwa 63 Sitzplätze (mit WC) bis 75 (ohne WC) und als zweiteiliger Zug bis zu 150 Sitzplätze, was deutlich mehr Kapazität als ein einzelner RS1 bedeutet. Die Höchstgeschwindigkeit bleibt mit 120 km/h vergleichbar, doch die Emissionen im Betrieb werden auf Null reduziert. Erste Prototypen des RS ZERO wurden 2024 auf der InnoTrans vorgestellt, und es ist absehbar, dass dieses Fahrzeug mittelfristig die Nachfolge der Baureihe 650 auf vielen nicht elektrifizierten Strecken antreten könnte.
Neben solchen direkten Nachfolgern des Regio-Shuttle-Konzepts gibt es weitere moderne Alternativen, die den Dieseltriebwagen der 1990er-Jahre den Rang ablaufen. Ein prominentes Beispiel ist der Brennstoffzellen-Zug Alstom Coradia iLint. Dieser Triebzug, basierend auf dem LINT 54, wurde 2018 in Niedersachsen weltweit erstmals im regulären Fahrgastbetrieb eingesetzt. Er verwendet Wasserstoff-Brennstoffzellen, um elektrische Energie für den Antrieb zu erzeugen, und fährt völlig emissionsfrei – Wasserdampf ist das einzige Abfallprodukt. Inzwischen ersetzen solche Wasserstoffzüge im Netz der Elbe-Weser-Bahn bei Cuxhaven die bisherigen Dieseltriebwagen. Sie erreichen bis zu 140 km/h und zeigen, dass auch auf nichtelektrifizierten Strecken ein Verzicht auf Diesel möglich ist, ohne dass eine aufwändige Elektrifizierung stattfinden muss. Eine weitere Zukunftstechnologie sind Batterietriebwagen, wie sie etwa auf Basis moderner elektrischer Triebzüge (z.B. Siemens Mireo Plus B oder Alstom Coradia Continental BEMU) entwickelt werden. Diese Züge können Teilstrecken aus eigener Batteriekraft überbrücken und laden sich unter Fahrdraht wieder auf. Solche Systeme werden ab Mitte der 2020er-Jahre in verschiedenen Regionen Deutschlands erprobt und eingeführt, um die verbleibenden Dieselstrecken zu bedienen.
Entwicklung der Dieseltriebwagen im Kontext der Baureihe 650
Die Einführung der Baureihe 650 muss im Kontext der allgemeinen Entwicklung des Regionalverkehrs in Deutschland betrachtet werden. Während der Nachkriegsjahrzehnte standen Dieseltriebwagen vor allem im Zeichen der Kosteneinsparung und Streckenerhaltung. Modelle wie der Uerdinger Schienenbus und später die Baureihe 628 dienten primär dazu, den Weiterbetrieb dünn besiedelter Strecken überhaupt zu ermöglichen. Komfort und Leistungsfähigkeit waren zunächst zweitrangig gegenüber Wirtschaftlichkeit. Mit der Zeit stiegen jedoch die Erwartungen der Fahrgäste und Aufgabenträger: Ab den 1990er-Jahren wurden barrierefreie Einstiege, Klimatisierung, Fahrgastinformationssysteme und höhere Geschwindigkeiten auch im Regionalverkehr eingefordert. Hier markierte die Baureihe 650 einen Wendepunkt. Sie war der erste weitverbreitete Niederflur-Dieseltriebwagen in Deutschland, der zeigte, dass man Wirtschaftlichkeit und Fahrgastkomfort vereinen kann. Dank des Regio-Shuttle verbesserten sich auf vielen Nebenbahnen die Angebotsqualität und oft auch die Fahrgastzahlen. Moderne Innenräume, leise Motoren und der Verzicht auf hohe Einstiegsstufen machten das Reisen attraktiver und trugen dazu bei, dass einige Strecken einen Aufschwung erlebten oder sogar vor der Einstellung bewahrt wurden.
Die Regionalisierung ab 1996 – also die Übergabe der Zuständigkeit für den Nahverkehr an die Bundesländer – wirkte als Katalysator dieser Entwicklung. Plötzlich standen Mittel zur Verfügung, um alte Fahrzeuge zu ersetzen und neue Konzepte auszuprobieren. Neben der Baureihe 650 profitierten auch die erwähnten Alternativmodelle (Talent, Desiro, LINT) von dieser Phase: In kurzer Zeit wurde der Fuhrpark auf vielen Strecken nahezu vollständig erneuert. Die Dieseltriebwagen dieser Generation zeichnen sich gegenüber ihren Vorgängern durch technische Fortschritte aus: leistungsstarke und emissionsärmere Motoren, elektronisch geregelte Antriebe, verbesserte Geräuschdämmung und ergonomischere Führerstände für das Personal. Erstmals seit den 1950er-Jahren wurden wieder große Stückzahlen an Triebwagen beschafft – die Baureihe 650 und ihre Zeitgenossen sind daher als Erfolgsgeschichte des modernen Regionalverkehrs zu werten.
Heute, rund 25 Jahre später, steht erneut ein Wandel bevor. Angesichts von Klimawandel und Energiewende geraten Dieseltriebwagen zunehmend in den Fokus, da sie im Betrieb CO₂ und Schadstoffe ausstoßen. Rund 40 % des deutschen Schienennetzes sind nicht elektrifiziert, was bisher den Einsatz von Dieselzügen erforderlich machte – vor allem auf den von der Baureihe 650 bedienten Regionalstrecken. Doch die technische Entwicklung schreitet weiter: Alternativen wie Batterie- und Wasserstoffantrieb (oder synthetische Kraftstoffe) versprechen, künftig die Aufgaben der Dieseltriebwagen zu übernehmen. Die Baureihe 650 selbst steht damit an einem Scheideweg: Einerseits haben viele dieser Triebwagen noch etliche Jahre Lebensdauer vor sich und stellen bis heute das Rückgrat mancher Regionalnetze dar, andererseits werden die Betreiber in den kommenden Jahren vermehrt auf emissionsfreie Neufahrzeuge umsteigen. Die bisherige Zuverlässigkeit und Beliebtheit des Regio-Shuttle RS1 dürften jedoch dafür sorgen, dass diese Fahrzeuge noch bis weit in die 2030er-Jahre hinein im Dienst bleiben, parallel zu den aufkommenden neuen Antriebsarten.
Die Baureihe 650 – der Stadler Regio-Shuttle RS1 – hat sich als flexibler und zuverlässiger Alleskönner im deutschen Regionalverkehr etabliert. Von den sanften Hügeln der Schwäbischen Alb bis zu den Ausläufern des Vogtlands sorgt dieser Dieseltriebwagen seit über zwei Jahrzehnten für Mobilität abseits der elektrifizierten Hauptstrecken. Seine technische Konzeption mit leichtem Wagenkasten, leistungsstarkem Antrieb und niederflurigem Einstieg war wegweisend und ebnete den Weg für eine neue Generation von Nahverkehrstriebwagen in Deutschland. Historisch trat er ein Erbe an, das vom Uerdinger Schienenbus und der Baureihe 628 geprägt war – und er füllte diese Rolle mit Bravour aus, indem er Wirtschaftlichkeit und Attraktivität des Angebots in Einklang brachte.
Mit dem Aufkommen neuer Technologien steht die Baureihe 650 nun vor einem Wandel. Moderne Nachfolger wie der Stadler RS ZERO oder alternative Antriebe zeigen die Perspektiven für einen Regionalverkehr ohne Diesel auf. Dennoch bleibt die Bedeutung der Baureihe 650 unbestritten: Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Nebenbahnen in Deutschland eine Zukunft haben und dass die Fahrgäste auch abseits der Metropolen zeitgemäß befördert werden können. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie schnell die Ablösung durch emissionsfreie Fahrzeuge erfolgt. Bis dahin jedoch bleibt der „Regio-Shuttle“ vielerorts ein vertrauter und geschätzter Teil der Schienenlandschaft – ein Bindeglied zwischen der Tradition der Dieseltriebwagen und der Zukunft einer nachhaltigen Mobilität.
QUELLE:
- Eisenbahnfreunde Berlin – Triebwagen BR 650 (Stadler Regio-Shuttle RS1).
- Stadler Rail – RS ZERO: Emissionsfreier Regio-Shuttle.
- Loco-Info – Stadler Rail Regio-Shuttle RS1 (BR 650) Überblick.
- Wikipedia – Uerdinger Schienenbus (historische Entwicklung).
- NDR Nachrichten – Wo Wasserstoffzüge alte Dieselloks ablösen (17.04.2019).
- Alstom Pressemitteilung – „Alstom to supply 30 Coradia Lint regional trains…“ (30.03.2020).