Die Schweiz bleibt europäischer Spitzenreiter beim Schienenverkehr – sowohl bei der Netzqualität als auch bei der Nutzung. Trotz topografischer Herausforderungen gelingt es dem Land, Pünktlichkeit, Investitionen und digitale Angebote auf hohem Niveau zu halten. Ein Blick auf die Bahndichte und Ausgaben offenbart deutliche Unterschiede zu Deutschland und anderen Ländern.
Deutschland hat ein dichtes Netz, aber geringe Investitionen
Deutschland gehört mit rund 110 Metern Schiene pro Quadratkilometer zu den Ländern mit der höchsten Bahndichte in Europa. Dichtes Netz bedeutet jedoch nicht gleich gut funktionierender Betrieb. Während Deutschland im oberen Bereich der Infrastrukturmenge liegt, bleibt es bei der Finanzierung weit zurück.
Laut Daten von Eurostat beträgt die staatliche Pro-Kopf-Investition in Deutschland im Jahr 2023 nur 115 Euro. Im Vergleich dazu flossen in der Schweiz 477 Euro pro Einwohner in das Schienennetz. Noch mehr gibt Luxemburg aus: 512 Euro pro Kopf. Frankreich bildet das Schlusslicht mit lediglich 51 Euro.
Staatliche Ausgaben für das Schienennetz pro Kopf (2023)
Land | Ausgaben pro Kopf |
---|---|
Luxemburg | 512 € |
Schweiz | 477 € |
Österreich | 336 € |
Schweden | 277 € |
Norwegen | 276 € |
Großbritannien | 215 € |
Niederlande | 174 € |
Tschechien | 139 € |
Dänemark | 133 € |
Deutschland | 115 € |
Belgien | 101 € |
Italien | 92 € |
Spanien | 70 € |
Frankreich | 51 € |
Griechenland und Skandinavien mit geringer Bahndichte
Ein Blick auf die Bahndichte in Europa zeigt große Unterschiede:
-
Griechenland: nur 14 Meter Schiene pro Quadratkilometer
-
Spanien, Norwegen, Schweden: meist unter 40 Meter
-
Frankreich, Italien, Rumänien: zwischen 40 und 60 Meter
-
Deutschland, Schweiz, Tschechien, Österreich: über 100 Meter
Deutschland liegt mengenmäßig weit vorne, doch das Netz ist vielerorts veraltet. Viele Weichen, Stellwerke und Streckenabschnitte stammen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Modernisierung bleibt aus – mit spürbaren Folgen für den Fahrplan.
Schweiz priorisiert Takt, Pünktlichkeit und Systemstabilität
98,6 Prozent aller Fernzüge in der Schweiz sind pünktlich. In Deutschland gelten lediglich 62,5 Prozent als „rechtzeitig“. Dabei wird in Deutschland eine Verspätung erst ab sechs Minuten gezählt – in der Schweiz sind es drei.
Ein Beispiel der Konsequenz: Seit April 2024 dürfen zwei ICE aus Deutschland – EC7 aus Hamburg und EC9 aus Dortmund – nicht mehr über Basel hinausfahren. Die Züge kommen regelmäßig mit über 20 Minuten Verspätung und bringen den Schweizer Takt durcheinander. Reisende müssen in Basel auf die pünktlicheren Züge der SBB umsteigen.
Christa Hostettler, seit August 2024 Direktorin des Bundesamts für Verkehr (BAV), betont, dass es „nicht möglich ist, solche Verspätungen in ein funktionierendes Netz zu integrieren.“ Die Juristin steuert die Bahnpolitik der Schweiz und verantwortet die Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs.
Schweiz investiert konsequent in den Substanzerhalt
Etwa 3 Milliarden Franken jährlich fließen in die Instandhaltung des Schweizer Netzes, 1 bis 1,5 Milliarden in den Ausbau. Die Verteilung folgt einem 3:1-Prinzip – mit Fokus auf Stabilität und Substanz. Die Folge: Schweizerinnen und Schweizer fahren durchschnittlich 2.464 Kilometer pro Jahr mit dem Zug – in Deutschland sind es nur 1.206. Auch die Verfügbarkeit verlässlicher Umsteigeverbindungen ist ein zentraler Punkt. Längere Direktverbindungen sind selten, dafür gibt es hochfrequente Anschlüsse.
Deutschland will mit dem Projekt „Deutschlandtakt“ ein ähnliches System einführen – doch der Ausbau verzögert sich massiv. Experten sehen eine vollständige Umsetzung frühestens 2070.
Digitalisierung - Schweiz geht Schritt für Schritt
Die Schweiz ist bei digitalen Tickets und Fahrplänen weiter als viele europäische Länder. 75 Prozent der Tickets werden bereits online gekauft. Die App der SBB wird von über 4 Millionen Menschen genutzt – fast die Hälfte der Bevölkerung.
Unter dem Slogan „Eine Reise, ein Ticket“ wurde der sogenannte Swiss Pass eingeführt. Er gilt für Bahn, Bus, Bergbahnen und Schiffe – landesweit und einheitlich. Künftig soll eine universale Mobilitätsplattform entstehen, die alle Verkehrsformen miteinander verbindet – von Zug über Fahrrad bis Parkhaus.
Trotzdem ist nicht alles digitalisiert. Das europäische Zugsicherungssystem ETCS ist in der Schweiz noch nicht vollständig installiert. Das liegt an hohen Kosten und technischen Herausforderungen – ähnlich wie in Deutschland.
SBB mit Schulden, aber strategischer Kontrolle
Die SBB verzeichneten 2024 einen Jahresgewinn von 275 Millionen Schweizer Franken. Dennoch liegt der Schuldenstand bei über 12 Milliarden – ein Nachhall der Corona-Pandemie und steigender Baukosten. Nicht alle Projekte können realisiert werden. Auch in der Schweiz muss zwischen Wunsch und Machbarkeit abgewogen werden. Dennoch bleibt das Land auf langfristige Qualität ausgerichtet – mit klarer Priorisierung, transparenter Planung und hoher Investitionsbereitschaft.
Während Deutschland ein quantitativ starkes Netz besitzt, überzeugt die Schweiz mit Stabilität, System und Strategie. Die Unterschiede zeigen: Infrastruktur allein reicht nicht – es kommt auf Qualität, Investitionen und konsequente Umsetzung an.
Quelle: Reise Reporter